Welche Reformen braucht die Kirche?

Zwischenruf eines Missionars
Von P. Willi Klein cpps

Zwei Podiumsgespräche in Salzburg haben mich veranlasst, einige kritische Überlegungen anzustellen. Das erste Gespräch hatte den Titel „Was wollen die Pfarrer – was braucht die Kirche?“ (17.Oktober 2011), das zweite hatte den Titel „Reine Lehre – kleine Herde“ (14.November 2011).

Die Grundlinie all dieser Überlegungen, so scheint mir, ist die folgende, auch wenn dies direkt so nicht gesagt bzw. bisweilen auch ausdrücklich bestritten wird: Es gibt in unserer Zeit und Kultur immer weniger Priester, und manche Priester leben in einer eheähnlichen Beziehung. Um aus diesen Schwierigkeiten heraus zu kommen, soll die Zölibatsverpflichtung für Diözesanpriester aufgehoben werden, sollen verheiratete und deswegen suspendierte Priester ihr Amt wieder ausüben können, sollen Frauen die Priesterweihe empfangen.
Auf diesem Weg, so hofft man, kann die gewohnte Pfarreistruktur aufrechterhalten werden. Zu einigen Aspekten dieser Diskussion möchte ich hier meine Gedanken äußern.

1. Die weltweite katholische Kirche (in der die Zahl der Priester wächst) kennt unterschiedliche Strukturen zur Ermöglichung und Unterstützung lebendiger Christengemeinden.
Die Erfahrung zeigt: Die Lebendigkeit einer solchen Glaubensgemeinschaft hängt nicht davon ab, ob ein ständiger Priester vor Ort ist oder nicht, ich erinnere an die sog. „Basisgemeinschaften“ in verschiedenen Völkern der Welt. Es können auch neue Formen des Leitungsdienstes entstehen, die es evtl. bisher noch gar nicht gegeben hat. An der Pfarreienstruktur krampfhaft festzuhalten, scheint mir zu sehr rückwärts gerichtet zu sein. Es ist allerdings verständlich, dass in der traditionell katholischen Bevölkerung Österreichs ein derartiges Umdenken nicht leicht fällt. Zugleich wundere ich mich darüber, dass in den deutschsprachigen Ländern viele Bischöfe und Diözesanpriester nicht schon längst eine für unsere und die zukünftige Zeit geeignete Ausbildung von Priestern und Laien im Leitungsdienst, auch im Hinblick auf eine zeitgemäße Sakramentenpastoral, auf den Weg gebracht haben. Die Entwicklung war schon vor Jahrzehnten abzusehen.

2. Es wird gesagt, die Gläubigen hätten ein Recht auf Eucharistiefeier und Kommunionempfang.
Das mag grundsätzlich stimmen, die Art der Argumentation jedoch scheint mir der weit verbreiteten Konsum-Mentalität (alles muss jederzeit und sofort verfügbar sein) sehr nahe zu sein, es fehlt ihr das tiefere Verständnis des Geschenkes der Eucharistie. Zudem zeigt sich hierin im Sinn des 2. Vatikanischen Konzils ein Nachholbedarf: Dieses Konzil hat die herausragende Bedeutung des Wortes Gottes deutlich gemacht und damit eine gewisse „katholische“ Vernachlässigung des Wortes Gottes während der vergangenen Jahrhunderten korrigiert – die Kirchenväter der ersten christlichen Jahrhunderte sprechen von der „Kommunion des Wortes“. Dieses Bewusstsein, dass wir im Wort Gottes Jesus Christus kommunizieren, d.h. empfangen, kann noch wachsen. Zuweilen wird die Verpflichtung der Gläubigen zum Besuch der Eucharistiefeier sonn-und feiertags ins Feld geführt. Diese Verpflichtung ist aber grundsätzlich eingeschränkt mit dem Zusatz: „Wenn es möglich ist.“ Zudem kann jeder Pfarrer von dieser Verpflichtung dispensieren, auch der Bischof für seine Diözese, wenn sie sich in dieser Hinsicht in einem Ausnahmezustand befindet.

3. Die Kirche Jesu Christi hat 2000 Jahre Erfahrung mit verheirateten Priestern. Seit dem 12. Jahrhundert hat sich – aus dieser Erfahrung heraus – in der lateinischen Kirche immer mehr die zölibatäre Lebensform der Diözesanpriester durchgesetzt. Vorbild ist Jesus Christus selber: Die Tatsache, dass er ehelos gelebt hat, ist von Bedeutung. Es ist durchaus vorstellbar, dass diese Verpflichtung einmal gesamtkirchlich oder regional aufgehoben wird. Allerdings sollte man dies dann nicht als Fortschritt bezeichnen. Es wäre so, wie wenn wir uns entschlössen, auf den elektrischen Strom zu verzichten und zur Wachskerze zurückzukehren; natürlich wären wir dann froh, das Kerzenlicht zu haben; hin und wieder kann ein Schritt zurück dem Menschen zu mehr Klarheit verhelfen. Dabei ist aber auch zu bedenken, dass heute in unserer Kultur keineswegs klar ist, was Ehe und Familie ist, zudem ist es eine sehr hohe Anforderung, zugleich Ehemann, Vater und Priester zu sein. Nicht die Sinnhaftigkeit der Zölibatsverpflichtung ist die eigentliche Frage, sondern: Wie kann der Priester den Zölibat überzeugend leben? Viele Priester leben den Zölibat überzeugend – diese müssten hier zu Wort kommen.

4. Es gibt Voraussetzungen für die Zulassung zum Empfang der hl. Kommunion. Eine schmerzliche Situation entsteht zuweilen für geschiedene und zivil wieder verheiratete Katholiken. Es kommt mir pharisäisch vor, wenn einfach verlangt wird, die Vorschrift zu ändern, um dann buchstabengetreu nach der Vorschrift zu handeln. Bei allen Regeln der Gemeindeordnung gibt es auch Ausnahmen. Der Seelsorger hat einen gewissen Spielraum, der Bischof hat einen größeren Spielraum im Hinblick auf seine ganze Diözese. Der Priester sollte sich für betroffene Gläubige genügend Zeit nehmen, um mit ihnen zusammen den richtigen Weg zu suchen; es wäre verantwortungslos, einfach zu sagen: „Macht, was ihr wollt“ oder: „So ist das Gesetz und so wird´s gemacht.“ In der Mitte pastoralen Handelns steht nicht das Gesetz, sondern Jesus Christus. Das heißt nicht, dass wir die Gemeindeordnung nicht brauchen; es heißt auch nicht, dass der Priester/Gläubige gegebenenfalls ungehorsam ist; es heißt auch nicht, dass ein solches Vorgehen heuchlerisch ist. Vielmehr heißt das für den Priester, seinen Mitmenschen ernst zu nehmen, seine Verantwortung als Seelsorger ernst zu nehmen, die kirchliche Ordnung ernst zu nehmen und den eigenen Hausverstand im Geist des Evangeliums zu gebrauchen. Der Priester ist nicht Vollzieher des Gesetzes, sondern er ist Seelsorger.

5. In Österreich, in Deutschland und in meiner Heimat, der Schweiz, habe ich öfters an sog. Dekanatskonferenzen teilgenommen und dabei den Eindruck gewonnen, dass es innerhalb des Klerus ein besonderes Kommunikationsproblem gibt: unter den Pfarrern und zwischen den Pfarrern und ihren Bischöfen. Der ausgeprägte Individualismus in einem großen Teil des Klerus ist beklagenswert. Bei all diesen Dekanatskonferenzen habe ich dieselbe Erfahrung gemacht: Es wurde über alles Mögliche gesprochen, nicht aber über die wesentlichen Probleme der Pastoral, d.h. der praktischen Seelsorge. Und wenn ich auf diesen Mangel hingewiesen habe, wurde ich jeweils sanft zum Schweigen gebracht.
Ich habe auch viele Jahre in Bosnien gearbeitet, in der Diözese Banja Luka. Dort ist es anders. Die Priester des Dekanates trafen sich jeden Monat einmal. Für die jeweils nächste Konferenz wurde ein konkretes pastorales Thema festgelegt und einer der Pfarrer bereitete sich besonders darauf vor. Erfahrungen wurden ausgetauscht, die Frage wurde diskutiert, und schließlich einigte man sich darauf, wie in solchen Fällen im ganzen Dekanat vorgegangen werden soll. Einmal monatlich (mit Sommerpause) hat der Bischof alle Priester zu sich eingeladen. Es war immer mehr als die Hälfte aller Priester der Diözese anwesend. Dort geschah das gleiche auf Diözesanebene. Der Bischof diskutierte mit, und schließlich hat man sich für die ganze Diözese auf eine bestimmte Vorgangsweise geeinigt. Wenn nötig, hat der Bischof die Sache entschieden.

6. Es wird eine „Spaltung“ zwischen „unten“ und „oben“, „Basis“ und „Hierarchie“ suggeriert, die so gar nicht wirklich besteht. (Wenn schon von Spaltung die Rede sein soll, dann könnte man eher sagen, dass sie mitten durch das Kirchenvolk, mitten durch den Klerus und mitten durch den Episkopat hindurch geht.) Nach dieser Vorstellung soll sich die „Basis“ nach allen Seiten hin vernetzen, um einen möglichst großen Druck auf die Bischöfe ausüben zu können, damit diese endlich zu tun gezwungen sind, was die angebliche Basis erwartet. – Handelt es sich hier vielleicht um das mit 100 Jahren Verspätung auch in unserer Kirche angekommene marxistische sog. Konfliktmodell des Klassenkampfes? Die Geschichte hat hinlänglich gezeigt, dass dieses Entwikklungsmodell für menschliche Gesellschaften untauglich ist.
Noch viel weniger taugt es für die Kirche Jesu Christi, die weder monarchisch noch demokratisch, sondern hierarchisch ist und die das 2. Vatikanische Konzil als „pilgerndes Volk Gottes“ beschrieben hat. Offensichtlich besteht auch hier Nachholbedarf.

Welche Reform also braucht die katholische Kirche? Hierzulande engagieren sich manche Gläubige in dieser Diskussion, die allermeisten jedoch, so scheint mir, leiden unter der derzeitigen Situation. Ich meine, die vorrangige Reform, die unsere Kirche braucht, ist die Reform des Klerus, die Bekehrung von uns Priestern, die Reform der Ausbildung der Priester, Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleiter. Dies ist die Voraussetzung für alle weiteren Reformen.



 
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